Schauspielerin, Musicaldarstellerin, Trainerin, Coach Anne-Katrin Böhm – Frage & Antwort

1. Anne-Katrin, du bist …

Diplom-Schauspielerin und Diplom-Musical-Darstellerin. Nach einem berufsbegleitenden Studium im Bereich Tourismus-, Hotel- und Eventmanagement arbeite ich aber inzwischen als Trainerin, Coach, Moderatorin und Trainingsschauspielerin in der Personal- und Organisationsentwicklung.

2. Du hast damals nach deiner Musicalausbildung noch eine Film/TV Schauspiel-Ausbildung drangehängt. Warum?

Bereits ab meinem 2. Ausbildungsjahr an der Musicalschule hatte ich nebenbei regelmäßig kleine Engagements – im Bereich Sprechtheater. Mein Herzenswunsch war es immer Geschichte zu erzählen und die Menschen zu berühren. Meine ersten Engagements gaben mir die Bestätigung, dass ich das wohl eine Stärke von mir war. Zudem kam mir immer wieder das Gerücht zu Ohren, dass man im Musical-Bereich „mit 35 eh weg vom Fenster“ sei, wenn man nicht die großen Rollen spielte. Und Musical-Leute wurden in Schauspielkreisen oft belächelt so nach dem Motto: „Du kannst alles ein bisschen, aber nichts richtig.“ So hielt ich eine zusätzliche Schauspielausbildung für eine gute Möglichkeit, mich breiter aufzustellen und auch noch bis in ein höheres Alter einsatzfähig zu sein. Mir hat auch gut gefallen, dass die Schule international ausgerichtet war und wir daher auch Unterricht auf Englisch hatten. Außerdem war mein Freund zu der damaligen Zeit Filmschauspieler – so habe ich erstes Kamerablut geleckt und in den darauffolgenden Jahren auch immer mal wieder gedreht. Zum Abschluss der Filmschauspielausbildung habe ich aber trotzdem auch die Bühnenreifeprüfung gemacht, weil mir das wichtig war. 

3. Du hast deine Ausbildungen in Wien absolviert. Hast du dort anschließend gute Engagements ergattern können? 

Ich habe viel gespielt und auch ein paar schöne Rollen ergattert, u. a. in Stücken von Arthur Schnitzler, William Shakespeare, mehrere Boulevardkomödien und auch eine großartige Produktion vom Musical „Das Orangenmädchen“. Das hat richtig viel Spaß gemacht. Allerdings waren die Gagen in der Wiener Off-Szene (also an den kleinen, wenig subventionierten Theatern) zu der Zeit gelinde gesagt unterirdisch. Und eine Probenpauschale gab es in der Regel nicht. Das heißt, ich habe zwar viel gelernt, konnte davon aber kaum leben und war auf zusätzliche Nebenjobs angewiesen, obwohl ich praktisch immer Engagements hatte. Daher war ich super glücklich, als ich die Zusage für meinen ersten Vertrag auf dem Kreuzfahrtschiff bekam. Während der Zeit an Bord habe ich dann auch entschieden nach Hamburg zurückzukehren, da ich merkte, dass ich beruflich in Wien leider nicht mehr weiterkam. Für mich war klar: Das ist mein Beruf und kein Hobby. Ich möchte nur damit mein Geld verdienen. So habe ich nach acht Jahren viele gute Freunde zurückgelassen.

4. Als Musicaldarstellerin hast du auch einige Spielzeiten auf Kreuzfahrtschiffen gespielt. Wie liefen deine Castings dafür ab?

Im Grunde ähnlich wie jede andere Audition auch. Mit der Einladung bekam ich Liedmaterial zugeschickt, aus dem ich mir zwei Songs aussuchen durfte und die ich dann am Auditiontag präsentieren musste. Außerdem gab es eine gemeinsame Tanz-Audition, in der wir zwei oder drei kurze Choreografie-Teile beigebracht bekommen haben und dann in unterschiedlichen Konstellationen vortanzen mussten. Was ich nett fand war, dass das Leading Team mich auch persönlich ein bisschen kennenlernen wollte und mir einige Fragen zu mir und meine Erwartungen an die Arbeit auf dem Schiff gestellt hat. Wenige Tage später kam bereits die Zusage. Und damit begann eines der größten Abenteuer meines Lebens, das mich einige Jahre begleiten sollte.

5. Wie viele Musicals musstest du für die Schiff-Shows einstudieren und in welcher Zeitspanne?

Für meinen ersten Vertrag hatte wir ein Repertoire von etwa 10 Shows, die jeweils etwa 45-60 min dauerten. Dafür hatten wir eine vierwöchige Probenzeit. Alle 2-3 Tage starteten wir mit dem nächsten Stück. Das war schon herausfordernd, sich in so kurzer Zeit so viel Material anzueignen, das auch noch stilistisch sehr unterschiedlich war. Zudem musste ich auch als Gesangssolistin wirklich viel tanzen. Und zwar mehr als nur irgendwelche Bewegungs-Choreografien …

6. Wie lang waren deine längsten Engagements auf den Schiffen und was konntest du dort für Erfahrungen mitnehmen? 

Ich war über einen Zeitraum von drei Jahren fast ein und dreiviertel Jahre an Bord. Mein längster Vertrag ging achteinhalb Monate am Stück. Das war schon krass – und danach hatte ich schon einen richtigen „Lagerkoller“. Du arbeitest mit vielen anderen Nationen zusammen und die Kollegen, mit denen du zusammenarbeitest sind dieselben, die du abends in der Crewbar triffst oder mit den du eine Destination erkundest. Ich habe hier viel über mich selbst gelernt, über den Umgang mit verschiedenen Kulturen, über Respekt und Zusammenhalt, über meine eigenen Bedürfnisse, übers Durchhalten auch in harten Zeiten… Du hast praktisch keine Privatsphäre auf dem Schiff. Ich habe mir meine Kabine mit einer Ensemble-Kollegin geteilt und sobald ich auf dem Schiff unterwegs war, war ich im Dienst. Schlechte Laune haben konnte ich mir offiziell nicht leisten, sonst landete schnell auch mal eine Beschwerde an der Rezeption… Auf einem Schiff wie dem, wo ich war, zu arbeiten bedeutet einen Tourismus-Job zu haben. Du repräsentierst den Reiseveranstalter, bist Ansprechpartner, mitverantwortlich für das Urlaubsgefühl der Passagiere.

Mir hat das Spaß gemacht, aber es gab auch Kollegen, die fanden das furchtbar. Dafür habe ich unglaublich viel von der Welt gesehen. Ich habe zwei (fast) komplette Weltreisen mitgemacht, kam an Orte, von denen ich vorher noch nie etwas gehört hatte und an die ich freiwillig wahrscheinlich nie gereist wäre. Zudem hatte ich die Möglichkeit unterschiedlichste Shows zu spielen und auch Songs zu singen, für die ich an Land wahrscheinlich nie besetzt worden wäre. Ich konnte mir ein breites Repertoire aufbauen und meine eigenen Grenzen ausloten. Von der Schlager- über die Rock`n-Roll- und Musical-Highlight-Show bis hin zur irischen Steppshow und kleine Schauspielstücke war da alles dabei. Deshalb würde ich auch jedem Anfänger, der gerade von der Musicalschule kommt, sagen: Wenn du die Chance hast einmal aufs Schiff zu gehen: Mach es. Ich habe unheimlich viel gelernt und möchte die Zeit nicht missen. Aber ja, man muss halt auch der Typ dafür sein …

7. Nach einigen Jahren hast du dich künstlerisch verändert und dein eigenes Kabarett-Programm geschrieben. Wie hast du dies umgesetzt und welche Hürden gab es?

Ursprünglich habe ich „Alltagswahnsinn – das Kabarettical“ für Kreuzfahrtschiffe konzipiert (letztendlich habe ich es dann aber doch öfters in unterschiedlichen Kleinkunsttheatern in Deutschland und Österreich gespielt). Denn irgendwann kam der Punkt, da wollte ich keine langen Engagements mehr auf dem Schiff annehmen. Aber ein paar Mal im Jahr als Gastkünstler für 1-2 Wochen aufs Schiff zu gehen, das habe ich mir gut vorstellen können. Daher habe ich das Stück auch auf dem Schiff angefangen zu entwickeln und habe dort eine erste Kurzversion aufgeführt um zu schauen, ob es so funktioniert, wie ich mir das vorstelle. Anschließend habe ich dann an Land weitergeschrieben und bin auch ordentlich in finanzielle Vorleistung gegangen. Mir war wirklich professionelles Werbematerial und qualitativ hochwertig erstellte Arrangements und Playbacks wichtig. Ich wollte Qualität verkaufen und dafür musste es auch nach Qualität aussehen. Ich wollte außerdem jemanden, der mich in der Dramaturgie und Regie unterstützt, da ich mich selbst von außen ja nicht sehen konnte… So war ich auf einmal also Autorin, Produzentin, Regisseurin, Organisatorin, Art Director, Ausstatterin, Marketing-Mensch und Darstellerin in einem. Gelernt hatte ich aber nur Darstellerin … zum Glück hatte ich ein gutes Gespür und eine klare Vorstellung davon, was ich wollte und was nicht. Den Rest habe ich mir dann irgendwie über Learning-by-doing beigebracht.

Für mich war dann die größte Hürde das Verkaufen des Programms. Ich hatte keine Ahnung von Vertrieb, von Preisen usw. Für die allererste Show hatte ich dann richtig Glück. Während eines Urlaubs in einem Kurort war ich bei einer Einführung für alle neuangereisten Gäste. Dort stellte der Veranstaltungsleiter des Orts auch das Veranstaltungsprogramm vor. Ich dachte mir: Hey, hier passt doch der Alltagswahnsinn super hin. Ich habe den Herrn dann anschließend abgepasst und ihn gefragt, ob ich mich bei ihm bewerben darf. Zu der Zeit war das Stück aber noch gar nicht fertig und ich habe ihm das Blaue vom Himmel erzählt. Ein paar Tage später rief er mich mit einer Zusage und einem finanziell ziemlich guten Angebot an. Danach stand dann auch der Premierentermin im September 2013, bis wann „Alltagswahnsinn“ fertig sein musste… Frechheit siegt. 

8. Nun hast du in all den Jahren stets parallel mehrere Entertainment-Jobs annehmen müssen und warst selten in einer Festanstellung. Wie erging es dir dabei?

Auf der einen Seite habe ich es sehr genossen so vielfältig arbeiten zu können. Ich bin ein Mensch, der sich auch nicht gerne in Schubladen stecken lässt, obwohl das immer wieder gerne probiert wurde. So habe ich so ziemlich alle Jobs gemacht, die diese Branche zu bieten hat. Ich habe Dinner-Produktionen gespielt, unterschiedlichste Gala- und Eventformate, war auf mehreren Tourneen, habe Comedy-Kieztouren angeboten, unterrichtet, Regie geführt, pädagogisches und Business-Theater gespielt, Kurzfilme, Werbung und auch einen Kinofilm gedreht, … Aber das ständige Bewerben machte mich auch mürbe. Jeden Tag die neuen Ausschreibungen durchsehen, bewerben, eine Absage nach der anderen, bis endlich mal wieder eine Einladung oder letztendlich eine Zusage kam. Man braucht schon sehr viel Durchhaltevermögen und eine hohe Frustrationstoleranz in dem Beruf. Ich sehnte mich nach etwas mehr Ruhe, Sicherheit und Kontinuität. Wenigstens mal ein Jahr wirklich planen können, nicht immer nur: Heute hier, morgen dort … gerne wäre ich einmal längere Zeit an einem Ort geblieben und hätte einfach für einen Arbeitgeber gearbeitet in einem festen Team.

9. Was war denn beruflich immer dein Traum und warum konntest du dies nicht erreichen? 

Mein Traum war es immer Geschichte zu erzählen und Menschen zu berühren. Und natürlich wollte ich auch spannende Rollen spielen. Klar habe ich auch von manch einer Rolle in den großen Stage-Entertainment-Produktionen geträumt. Letztendlich hätte ich aber unheimlich gerne eine Festanstellung an einem Mehrspartenhaus gehabt, um als Ensemblemitglied im Schauspiel, Musical und Jugendtheater eingesetzt zu werden. Kurz nach Abschluss meiner Schauspielausbildung kam ich bei einer entsprechenden Ausschreibung einmal unter die letzten drei Bewerberinnen. Letztendlich wurde sich dann aber für die Bewerberin mir mehr Erfahrung entschieden. Ich war am Boden zerstört. Nachdem ich nach Hamburg zurückgezogen war, veränderten sich auch meine Engagements. Obwohl ich meine Stärke immer im Schauspiel sah und immer ganze Rollen spielen wollte, um eine Geschichte zu erzählen, erhielt ich immer mehr Jobs im Event- und Galabereich. Warum das so war kann ich nicht genau sagen, aber natürlich war ich froh, überhaupt in dem Job arbeiten und davon meinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.  

Der Konkurrenzdruck ist – besonders unter den Frauen – sehr hoch. Es gibt unglaublich viele gute weibliche Bewerberinnen, aber meist nur wenige weibliche Rollen. Du musst die Hürde nehmen überhaupt eingeladen zu werden. Bei der Vielzahl an Bewerbungen werden oft nur diejenigen eingeladen, die das Kreativteam bereits kennt oder die ganz bestimmte Punkte im Lebenslauf stehen haben. 

Ich hatte außerdem das Problem, dass ich ein sehr schlechtes Pick-up (schnelle Aufnahmefähigkeit von Choreografien) hatte. Und bei den meisten Auditions muss man zuerst zum Tanzen. Daher bin ich oft bereits an dieser Stelle rausgeflogen, ohne überhaupt zum Singen zu kommen. Auch habe ich immer mit Lampenfieber beim Vorsprechen zu kämpfen gehabt.

Du musst ein unheimlich gefestigter Charakter sein. Einerseits brauchst du sehr viel Selbstbewusstsein, um mit den vielen Absagen umgehen zu können oder damit, dass du im schlechtesten Fall genau 16 Takte hast, um dein Können zu beweisen. Du musst die Kraft und das Selbstbewusstsein haben, ein ganzes Ensemble zu führen als Hauptdarsteller*in. Andererseits bist du als Darsteller auch ein extremer Teamplayer als Teil eines Ensembles, musst emotional durchlässig sein und dich den Anweisungen der Regie unterordnen – auch wenn du die Rolle komplett anders siehst. Das ist schon ein ziemliches Paradoxon. Und die Hierarchien im Theater sind steiler als man glaubt. Und es laufen auch viele Narzissten in dem Business herum… da braucht man echt eine dicke Haut. Die hatte ich auf Grund meiner Hochsensibilität, meines Gerechtigkeitssinns und meiner starken eigenen Meinung leider nicht. Ich kam mir manchmal wie das perfekte Puzzle-Stück im falschen Puzzle vor. Ich liebte die Bühne und das Spielen über alles. Aber das Drumherum entsprach nicht meiner Persönlichkeit.

10. Du hast dir Hilfe von einer Musicalagentur erhofft und wurdest abgelehnt. Wieso?

Genau. Ich habe mich bei einer bekannten Agentur für Musical-Darsteller beworben, da ich wusste, dass diese auch Kontakte zu staatlichen Theatern und vielen Sommerproduktionen hatte. Und dort wollte ich ja hin. Nach wenigen Tagen bekam ich dann eine Antwort, die mich bis heute sprachlos zurücklässt: „Wir können Sie nicht nehmen, denn SIE HABEN JA NICHTS GEMACHT.“ Ich habe ungläubig zurückgeschrieben, ob der Herr denn meinen Lebenslauf gelesen hätte und dass ich seit jeher von dem Beruf lebe. Daraufhin kam die Antwort, dass meine Engagements nichts zählen würden, denn es wäre ja weder eine Stage Entertainment-Produktion, noch ein wichtiges Sommerfestspiel, ein Stadttheater oder der Name eines bekannten Regisseurs dabei… –  „Hm…ja, ganz genau. DESHALB bewerbe ich mich ja bei Ihnen, weil ich von den meisten solcher Ausschreibungen gar nichts erfahre, weil diese eben über Agenturen oder unter der Hand vermittelt werden oder ich einfach nicht eingeladen werde…“  Ich denke, dieses Beispiel beschreibt ganz gut, wie es in der Branche zugeht.

11. Mit den Frustrationen folgten diverse Krankheiten und ein Umdenken fand statt. Welcher berufliche Wechsel vollzog sich und warum?

Genau, im Sommer 2014 fing mir mein Körper an Zeichen zu geben, dass ich etwas verändern musste. Eine eigentlich harmlose Verletzung wurde so schlimm, dass ich zwei Monate lang nicht gehen konnte. Kurz darauf folgte eine Kehlkopfentzündung mit totalem Stimmverlust. Letztendlich konnte ich aus eigentlich profanen Gründen fast ein halbes Jahr nicht arbeiten. Ich war gerade eben so rechtzeitig für eine Wintertournee wieder fit. Das hat mich nachdenklich gemacht und mir nochmal gezeigt, wie fragil mein Lebensmodell zu der Zeit war. Wie schnell eine kleine Verletzung existenzbedrohend für mich sein kann. Auch habe ich in dieser Zeit begriffen, wie sehr meine Frustration mit den Jahren gewachsen ist und dass das künstlerische Leben, das ich führte, wenig mehr mit dem gemeinsam hatte, weswegen ich einst den Beruf ergriffen hatte.

Ich fühlte mich in meinen Engagements wenig gefordert, bekam nicht die Rollen, die mir am Herzen lagen, arbeitete viel in Umfeldern, die meinen persönlichen Werten nicht entsprachen. Die krassen Hierarchien, die Unberechenbarkeit, die Ungerechtigkeiten, der finanzielle Druck. Meine Liebe zum Beruf war verloren gegangen und war zu einem Kampf geworden, der mich nicht mehr glücklich machte. Aber ich liebte die Bühne so sehr! Nach vielen durchweinten Nächten und mehreren Monaten des Mit-mir-Haderns wurde mir klar, dass ich etwas tun musste, um mich aus der Abhängigkeit von der Kunst zu befreien, damit der Druck weniger und die Liebe wieder größer werden konnte. Über Umwege habe ich mich dann für ein berufsbegleitendes Studium im Bereich Tourismus-, Hotel- und Eventmanagement entschieden, da ich hier viele Anknüpfungspunkte zum künstlerischen Beruf finden konnte. Meine Überlegung war, nach dem Studium ggf. die Seiten zu wechseln, z. B. in einem künstlerischen Betriebsbüro zu arbeiten oder noch besser: Die Veranstaltungsstätte in einem Ferienort zu leiten. Ich konnte mir nicht vorstellen, das künstlerische Umfeld ganz zu verlassen. Aber ich wollte einfach einen Abschluss haben, der in Deutschland etwas zählt. 

12. Hat dich dein neues Studium am Ende zufrieden gestellt?

Ich habe mir früher nie vorstellen können zu studieren, habe aber letztendlich dort meine Liebe fürs Lernen wiederentdeckt. Das war toll. Und als dann letztes Jahr alle Theater pandemiebedingt geschlossen wurden, war ich zum ersten Mal dankbar und wusste mit Sicherheit, dass es der richtige Schritt war, mich aus dieser Abhängigkeit zu befreien.

Vier Jahre habe ich mich dann dreigeteilt. Studieren, Teilzeit-Job in einem Konzern im Bereich Training & Event und nebenbei weiter künstlerische Auftritte annehmen.

Das Ganze war ein Entwicklungsprozess. Durch meinen Teilzeitjob und meine ersten Aufträge als Schauspielerin in der Wirtschaft entdeckte ich meine Liebe für den Bereich Training & Weiterbildung. Im Training konnte ich an meine Mission von der Bühne anknüpfen. Zwar erzählte ich hier keine Geschichten, aber ich konnte den Menschen etwas mitgeben. Sie gingen aus dem Training bei mir ein kleines bisschen verändert heraus, als sie hereingekommen waren. Das war die Parallele. Schnell wurde mir klar, dass ich eigentlich den falschen Studiengang gewählt hatte – aber ich wollte nicht noch mehr Zeit verlieren und zog es durch. Mein Studiengangsleiter unterstützte mich insofern, als dass ich meine Abschlussarbeit sogar über den Nutzen und die Effekte des Schauspielereinsatzes in betrieblichen Trainings schreiben durfte- obwohl das Thema auf den ersten Blick wenig mit meinem Studiengang zu tun hatte. Aber mich faszinierten die Synergiemöglichkeiten aus Wirtschaft und Kunst. Beide Sparten können viel voneinander lernen und dies möchte ich auch in Zukunft weiter vorantreiben. 

Eigentlich wollte ich dann als Trainerin für die Crew noch einmal für einige Zeit auf ein Kreuzfahrtschiff gehen. Der Job wurde mir aber coronabedingt gekündigt, bevor ich ihn antreten konnte. Kurz darauf hatte ich mega Glück und erhielt die Zusage für meine jetzige Stelle – mein erster „normaler“ Vollzeitjob. 

13. Wie verbindest du den eher kaufmännischen Job mit deiner Leidenschaft zum Künstlersein?

Meine offizielle Stellenbezeichnung lautet Strategische Personal- und Organisationsentwicklerin. Hier bin ich als Trainerin, Coach und Moderatorin tätig. Meine Führungskraft fand aber von Anfang an meinen künstlerischen Hintergrund super spannend – und so werde ich auch weiterhin als Schauspielerin eingesetzt. Als Trainingsschauspielerin für Rollenspiele, wo ich schwierige Gesprächspartner spiele, beim Spiegeltheater oder bei Unternehmenstheaterstücken. Auch darf ich verschiedene neue Trainings konzipieren, die auf meinem künstlerischen Hintergrund aufbauen, z. B. zu den Themen Auftrittskompetenz oder Storytelling, für die ich auch als Trainerin tätig bin. Außerdem habe ich meine selbständige Künstlertätigkeit nicht ganz aufgegeben und darf weiterhin Engagements annehmen, solange sie nicht mit meinem Hauptjob kollidieren. Auch als selbständige Trainerin & Coach bin ich weiterhin für meine eigenen Kunden unterwegs. Hier verbinde ich z. B. Improvisationstheater mit Teamtrainings, aber auch die Themen Kommunikation, Achtsamkeit, Hochsensibilität und berufliche (Neu-)Orientierung liegen mir am Herzen. 

Und natürlich hoffe ich, dass die Kultur bald wieder aus dem Pandemieschlaf erwacht. Ich vermisse die Bühne sehr und werde das Spielen nie ganz aufgeben. Im Herzen bin ich Künstlerin und werde es immer sein. Aber ich bin froh uns dankbar, meinen Horizont erweitert zu haben und einen Plan B gefunden habe, der mir eine echte und langfristige Perspektive bietet, in der ich die Kunst mit einfließen lassen und meine Stärken nutzen kann.

14. Wie bewertest du im Nachhinein die Künstler/Entertainmentbranche? 

Je mehr Abstand ich von der Branche bekomme und mit einem anderen Blick auf sie draufschauen kann, umso mehr wird mir die vorherrschende Unberechenbarkeit und Ungerechtigkeit bewusst. Ich glaube, diese beiden Punkte sind auch die, warum ich irgendwann aus der Abhängigkeit herausmusste. Meine Persönlichkeitsstruktur passte da nicht so gut rein. Ich war immer davon überzeugt, dass wenn jemand etwas wirklich will und hart genug dafür arbeitet, dann wird er auch Erfolg damit haben. In meinem Fall ist das leider nicht so eingetroffen, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich musste lernen, dass es oftmals eben nicht nur auf das Können ankommt, sondern dass Parameter wie deine Ausbildungsstätte, deine Optik, Vitamin B (z. B. dass mit jemandem aus dem Leading Team befreundet bist) oder leider auch das Fähnchen-mit-dem-Wind-schwenken viel wichtiger sind als deine Arbeitseinstellung oder dein Können. Ich wurde für viele Rollen nicht einmal eingeladen, obwohl ich wusste, dass ich perfekt passen würde. Es gehört auch sehr viel Glück dazu. Man muss einfach irgendwann zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein – und sich dann auch beweisen. 

Wenn man drin ist, ist es der schönste Beruf der Welt – mit Abstand wird mir aber auch immer mehr der Preis klar, den ich dafür bezahlt habe.

15. Was hättest du rückblickend gerne anders gemacht im beruflichen Werdegang?

Gar nicht so viel. Ich hätte mich so lange an staatlichen Schulen beworben, bis sich mich genommen hätten, um mir meine Einstiegschancen zu erleichtern. Und ich hätte mich frühzeitiger mit Themen wie (Selbst-)Marketing, Finanzen und Vertragsrecht auseinandergesetzt. 

Und in meinem berufsbegleitenden Studium wäre Wirtschaftspsychologie wahrscheinlich die sinnvollere Variante gewesen. Aber wer weiß, wozu das alles noch gut sein wird. Ich glaube fest daran, dass alles einen Sinn hat.

16. Was braucht ein Künstler auf dem Weg zum Erfolg? 

Talent ist wohl immer die Grundlage. Viel wichtiger als Talent ist aber – meiner Meinung nach – die richtige innere Einstellung und dass man sich nicht auf seinem Talent ausruht. 

Künstler-Sein ist immer auch harte Arbeit. Man muss die Bereitschaft mitbringen, sich stimmlich und körperlich fit zu halten, sich beständig weiterzubilden. Außerdem benötigt man ein ziemlich dickes Fell, ein gutes Netzwerk – und verdammt viel Glück.

17. Was ist deine Definition von Talent?

Talent ist, wenn jemand die notwendigen körperlichen, stimmlichen, Voraussetzungen mitbringt und auch intuitiv ohne Ausbildung vieles richtig macht. Und wenn jemandem das Lernen im entsprechenden Bereich leichtfällt. 

18. Was ist deine persönliche Definition von Erfolg?

Erfolg ist ja für jeden etwas höchst Individuelles. Erfolgreich fühle ich mich, wenn ich eine Tätigkeit ausübe, die mir Spaß bringt, die mich fordert, in der ich mich weiterentwickeln kann, die für mich Sinn ergibt und die mit meinen Werten übereinstimmt. Das hätte ich früher gesagt. Heute muss ich ehrlich gestehen, dass die Komponenten finanzieller Erfolg und Anerkennung für meine Tätigkeit mir ebenfalls sehr wichtig sind. 

19. Dein jetziges Leben in einem Satz?

Es ist und bleibt spannend.

20. Dein Rat an alle, die den Weg in die Entertainmentwelt einschlagen wollen? 

Überlege dir ehrlich, ob du dir auch irgendetwas anderes vorstellen kannst. Wenn ja: Mach das! Nur wenn du wirklich glaubst, dass das Künstler-Dasein wirklich deine Berufung ist und du das Gefühl hast, dass du keine andere Wahl hast: Dann go for it. 

Frage dich vorher, ob du persönlich dem Druck der Branche gewachsen bist und mit finanzieller Unsicherheit umgehen kannst, dass sich deine Familie und Freunde meist hinter deinem Job einreihen müssen. 

Schau, dass du eine solide Ausbildung an einer staatlichen Schule erhältst.

Und vor allem: Kümmere dich um deine Netzwerke und lerne frühzeitig etwas über Selbstmarketing. 

21. Zum Schluss die drei Leitsätze von Drei-Blick: Wie siehst du dich?

Leidenschaftlicher Herzensmensch mit Freiheits- und Weiterentwicklungsdrang, differenzierte Hirnwichserin, perfektionistische Visionärin, authentische und achtsame Empathin mit ungeduldigem Dickkopf, liebevolles Omega auf der Suche nach der Wahrheit und Schönheit dieser Welt.

22. Wie sehen dich andere?

Das kommt drauf an, wen du fragst. Aber ich denke, die Menschen in meinem näheren Umfeld sehen mich so wie ich mich auch selbst beschreibe, nur dass sie vielleicht andere Worte benutzen würden. 

23. Wie möchtest du gesehen werden?

So wie ich bin. Und von meinen Kunden natürlich zusätzlich vertrauensvoll, kompetent und professionell. Wobei das auch zutrifft. Ich nutze sie nur weniger für meine Selbstbeschreibung.

24. Dein Lieblingsbuch?*

Das Orangenmädchen“ von Jostein Garder, weil es darin auf wundervoll berührende Weise um eine der wichtigsten Entscheidungen eines jeden Menschen geht: Dem Ja-Sagen zum eigenen Leben.

25. Dein Lieblingszitat

„Frage dich in jeder schwierigen Situation: Was würde der stärkste, mutigste und liebevollste Teil deiner Persönlichkeit jetzt tun? Und dann tu es. Tu es richtig. Und zwar sofort.“ (Dan Millman)

26. Dein Schlusssatz

Danke, dass ich dabei sein durfte und: „Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut wird, war es noch nicht das Ende.“ (Oscar Wilde)

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